„Wir gleichzeitig Lebenden sind füreinander von geheimnisvoller Bedeutung.“


Die Österreicherin Petra Pellini arbeitete lange in der Pflege und Betreuung von Demenzkranken und schildert in ihrem Roman Der Bademeister ohne Himmel, wie viel Geduld, Kreativität und Humor dabei mitunter nötig und hilfreich sind.

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Linda ist 15 Jahre alt – und gleich auf der ersten Seite des Romans überlegt sie, wie sie ihrem Leben ein Ende setzen könnte. Immer wieder fühlt sie sich lebensmüde, weiß einfach nicht, was sie mit sich anfangen soll und wozu. Von diesen Gedanken können sie nur zwei Menschen ablenken: ihr Schulfreund Kevin und der 86-jährige pensionierte Bademeister Hubert.

Kevin wohnt um die Ecke, ist voll intelligent und Hubert wohnt im dritten Stock und ist voll dement.

Aus: Der Bademeister ohne Himmel

Mit Kevin hat Linda gleich mehrere Gemeinsamkeiten: Auch er hat getrennte Eltern und lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter. Wie Linda ist er eher ein Außenseiter, hat wenige Freunde und auch er ist frustriert und sucht nach dem Sinn in seinem Leben. Aber so richtig anvertrauen kann sie sich ihm nicht.

Ganz anders bei Hubert. Mit ihm ist sie auf einer Wellenlänge wie mit niemandem sonst. Hubert hütet all ihre Geheimnisse, denn Hubert ist dement. An guten Tagen erinnert er sich an seine verstorbene Ehefrau, gemeinsame Urlaube und seine Zeit als Bademeister – nie ist bei ihm ein Kind ertrunken! – aber immer öfter erkennt er nicht mal mehr die Gesichter auf den Fotografien in seinem Wohnzimmer. Manchmal auch nicht den Mann im Spiegel.

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Vor allem seine Tochter leidet unter diesem Umstand. Linda nennt sie nur „den Nachtfalter“, weil sie genauso zart, blass und zerbrechlich ist wie das Insekt. Das ist nur eine von wenigen Stellen, an denen Lindas feinfühliger Blick auf ihre Mitmenschen deutlich wird. Durch ihre Augen vermittelt Petra Pellini Verständnis für einen, dem immer mehr Verständnis verloren geht. Wann kommt seine Frau endlich vom Einkaufen zurück? Was sind Karotten und was macht man mit ihnen? Und viel schlimmer: Wer sind diese Menschen, die ihn in seiner Wohnung besuchen kommen? Wollen die seine Sparbücher klauen?!

Ist Hubert mit nichts aufzumuntern, ziehe ich drei Brockhaus-Bände aus dem Regal, staple sie übereinander, steige hinauf, hole tief Luft, halte mir die Nase zu und springe vom Beckenrand. Ich schwimme durchs Wohnzimmer. Brustschwimmen. Rückenschwimmen. Kraulen. Delfin. Das ganze Repertoire.

Aus: Der Bademeister ohne Himmel

Mit viel Geduld und Kreativität schafft die 15-jährige Linda es immer wieder, Hubert zu beruhigen und ihm kleine Freuden zu machen. So scheint es ewig weiterzugehen, bis ein Schicksalsschlag alle aus der Bahn reißt.

Mit einer ordentlichen Portion Überlebenshumor beschreibt Petra Pellini, wie alle gemeinsam auf Huberts Ende zusteuern. Unausweichlich, unplanbar aber nicht ohne die schönen Momente am Wegesrand. So schafft sie es, dem Thema die Schwere zu nehmen. Ein Roman, nicht nur über Demenz, sondern auch übers Erwachsenwerden. Für Fans von Mariana Leky, Ewald Arenz und Geschichten zum Lachen, Weinen und „trotzdem“ Wohlfühlen.

 

Sophia Marie Naas leitet bei der Büchergilde das Digitalteam und möchte nach der Lektüre dieses Romans mal wieder ins Schwimmbad gehen.

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Die Autorin

Petra Pellini, geboren 1970 in Vorarlberg, lebt und arbeitet in Bregenz. Sie war lange in der Pflege demenzkranker Menschen tätig. Für einen Auszug aus ihrem Roman Der Bademeister ohne Himmel wurde sie 2021 mit dem Vorarlberger Literaturpreis ausgezeichnet.


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